Nachsuche – quo vadis?

 
Der anerkannte Nachsuchenführer Ulf Muuß hat in der Zeitschrift Wild und Hund den folgenden Artikel veröffentlicht und spricht damit sicherlich allen seinen Kollegen aus dem Herzen.
 
Ulf Muuß sagt seiner Zunft eine düstere Zukunft voraus. Was bedeutet der Trend zum eigenen Schweißhund?
 
„Die Sau ist nicht zu kriegen!“, sagt der Nachsuchenprofi im Brustton der Überzeugung und lädt den prächtigen, vorab in den höchsten Tönen gelobten Schweißhund wieder ins Auto. Für seinen Aufwand und die sachkundige Untersuchung des Anschusses kassiert er fünfzig Euro, zieht die nagelneue, teure Nachsuchenjacke aus, steigt in seinen Geländewagen und braust davon. Der Unglücksschütze schaut zuerst irritiert hinterher, dann wieder auf die zwanzig Zentimeter lange Darmschlinge in seinen Händen, die er noch in der Nacht gefunden hatte. Dass solche Nachsuchen nicht immer einfach sind, davon hat er wohl gehört. Aber es gar nicht erst zu versuchen?
Na ja, der Spezialist muss es ja wissen …
 
Was der Jäger nicht ahnen kann: Er war nicht an einen Schweißhundführer, sondern an einen Schweißhundbesitzer geraten. Diese scheinen sich seit einigen Jahren zu häufen. Die Motive, sich so einen vierläufigen Spezialisten zuzulegen, sind vielfältig: „Finde ich total faszinierend“, „ist für mich das Tollste, was es gibt“ oder „wollte ich schon immer mal“ sind oft zu hören.
 
Schweißhundführer – allein der Begriff hat schon etwas Ehrfurcht Einflößendes, Heroisches. Auch wenn es nie einer zugeben würde: Mit der Anschaffung eines Hundes für die Schweißarbeit versuchen viele der Amateure, sich einen professionellen Auftritt zu verschaffen und bewundernde Blicke auf sich zu ziehen. Als „elitäres Verhalten“ der etablierten Zuchtvereine wird es dann oft betitelt, wenn man das vierläufige Objekt der Begierde nicht über den Verein Hirschmann (VH) oder den Klub für Bayerische Gebirgsschweißhunde (KBGS) bekommt. Dabei sind die Anforderungen an einen Nachsuchenführer hoch: Er braucht viel Zeit für den Hund und eine außerordentliche körperliche Fitness. Zudem gibt es nur sehr wenige Arbeitgeber. die auf ihre Mitarbeiter ohne Vorwarnung und auf ungewisse Zeit verzichten können. Denn oft genug ziehen sich Nachsuchen nicht nur über viele Stunden, sondern noch über den nächsten Tag hin. Da muss auch die Familie mitspielen. Während zwanzig bis dreißig Nachsuchen im Jahr noch komfortabel mit dem Hausfrieden zu vereinbaren sind, erfordert es schon viel Toleranz und Verständnis, wenn sich die Anzahl dem dreistelligen Bereich nähert. Wer die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt für die Arbeit mit dem roten Hund nicht infrage oder wird bestenfalls Mittelmaß erreichen.
 
Mit dem Rückgang des Niederwildes brechen die klassischen Aufgabengebiete für die hochläufigen Vorstehhunde weg. Allzu häufig suchen sich ihre Führer eine neue Beschäftigung im Nachsuchenwesen. Eine ähnliche Entwicklung war in Nordrhein-Westfalen nach dem Verbot der Baujagd ( „ökologisches Jagdgesetz“ 2015) zu beobachten, als viele „arbeitslos“ gewordene Teckel­ und Terrierführer eine neue Berufung in der Schweißarbeit suchten. Grundlage hierfür ist üblicherweise eine Schweißprüfung. Eine erfolgreich absolvierte Verbandsschweiß- oder -fährtenschuh­prüfung zeigt zwar, dass Hund und Führer sich intensiv mit der Thematik befasst haben, sollte aber nicht dazu verleiten, jede Nachsuche auf eigene Faust anzugehen.

Bei den von den Landesjagdverbän­den durchgeführten Brauchbarkeits­prüfungen im Fach Schweißarbeit hängen die Trauben noch deutlich niedriger. Jedes Bundesland hat seine eigene Prüfungsordnung – meistens beträgt die Fährtenlänge 300 oder 400 m und wird mit einem Viertelliter Schweiß gelegt. Bei optimalen Bedingungen und mit geschultem Auge kann man die Fährte auch ohne Hund ausgehen. Leider führt diese Prüfung bei vielen Führern zu einer drastischen Überschätzung der eigenen Fähigkeiten.

„Nach­dem 2008 in Baden-Württemberg die Brauchbarkeitsprüfung eingeführt wurde, konnten wir einen sprunghaften Anstieg von Nachsuchen auf eigene Faust verzeichnen“, bestätigt auch der Schwarzwälder Nachsuchenprofi Stefan Mayer. Der verantwortungsvolle Hundeführer sollte daher nur im Rah­men der eigenen Grenzen agieren, beispielsweise bei einer sicheren Totsuche. In der Praxis sieht es leider oft so aus, dass nach nächtlichem Aufmüden eines beschossenen Stückes und stundenlangem Suchen am nächsten Tag irgendwann der Profi geholt wird, der dann nur noch geringe Chancen hat, an das Wild zu kommen. Die Kurzversion des Dramas heißt dann: „Der Soundso hat es auch nicht gefunden!“. Die Unsitte, mit nicht qualifizierten Hunden nachzusuchen, hat so große Ausmaße angenommen, dass viele anerkannte Schweißhundführer folgende Regelung getroffen haben: Beim ersten Mal versuchen sie noch, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Bei dieser Gelegenheit kündigen sie an, im Wiederholungsfall nicht zur Verfügung zu stehen, wenn wieder jemand zuvor sein Glück probiert und die Aussicht auf eine erfolgreiche Nachsuche zunichte gemacht hat. Hintergrund ist die Hoffnung auf Einsicht der Jagdpächter, um zukünftig kranken Stücken dasselbe Schicksal zu ersparen.

Verblüffend ist die Naivität, mit der die ambitionierten Neueinsteiger an das Geschäft herangehen. Was bei keiner anderen Jagdgebrauchshunderasse funktioniert, wird vor allem Schweißhunden per se angedichtet: Höchstleistungen bei minimaler praktischer Erfahrung, kilometerlange sichere Riemenarbeit ohne jede Bestätigung, angeborene Resistenz gegen Verleitungen, Hatzfreude, Wildschärfe. Scheinbar muss man so einen braunen Hund nur regelmäßig füttern, dann klappt der Rest von selbst. Mangelnde Erfahrung wird voreilig durch Binsenweisheiten ersetzt:

„So steil bergauf gezogen, das Stück ist so gut wie gesund!“
„So wenig Schweiß, das Stück kann nicht viel haben!“
„Kranke Stücke suchen das Wasser!“
„Leberschüsse sind immer tödlich!“
 
Gleichermaßen verblüffend und schockierend ist aber auch, wie viele Jäger regelmäßig auf Hobby-Nachsuchenführer hereinfallen. Allzu gern wird dann auch völlig unqualifizierten Aussagen wie in der eingangs geschilderten Szene Glauben geschenkt. Man hat ja „alles getan“, um das Stück zu erlösen. Tatsächlich haben solche Auftritte sehr wenig mit Nachsuche zu tun. Das ist Probieren auf Kosten der Kreatur. Am besten beraten ist der Jäger, der einen der in seiner Region gelisteten anerkannten Nachsuchenführer zum Anschuss ruft.

Nicht nur die Schwemme an schwarz gezüchteten Schweißhunden mit unerfahrenen Führern stellt ein Problem dar. VH und KBGS streben seit ein paar Jahren eine Verbreiterung ihrer Zuchtbasis an, also die Erhöhung der Welpenzahlen. Sicher ein sinnvolles Vorhaben, um die Rassen auf genetisch breitere Füße zu stellen. Weniger glücklich agieren dabei häufig die Züchter bei der Auswahl ihrer Welpenbewerber. Eine kritische Prüfung der erforderlichen Voraussetzungen für Bewerber, auch in Hinblick auf in der Region bereits aktive Nachsuchenführer, wäre dabei wünschenswert.

Die Zahl, der anfallenden Nachsuchen ist zum Glück begrenzt. Eine Verteilung auf immer mehr Gespanne aber führt dazu, dass jeder einzelne Hund weniger Praxis bekommt und nicht mehr – oder erst viel zu spät – Spitzenleistungen erbringen kann. Es liegt in der Natur der Spezialisierung, dass sie kein Breitensport sein kann. Man stelle sich vor, jedes Krankenhaus in Deutschland würde einen Chirurgen für Herztransplantationen einstellen. Der hätte dann nur zwei Eingriffe pro Jahr durchzuführen und somit kaum Praxis. Sicherlich kein sehr beruhigendes Gefühl für den Patienten auf dem OP-Tisch.

Tatsächlich ist die Schweißhunde­führung kein mystisches Zauberwerk, sondern ein spezialisiertes Handwerk. Ein Bauhund leistet unter Tage oft mehr als der Artgenosse am langen Riemen, ist er doch völlig auf sich allein gestellt und muss sich mit dem roten oder schwarz-weißen, in der Regel schlecht gelaunten Bewohner herumschlagen. Kein bewaffneter Führer eilt ihm zu Hilfe. Der· Hase mit dem Schrotkorn im Gescheide, die geflügelte Ente im Schilf – sie alle haben die professionelle Nach­suche genauso verdient wie der kapitale Hirsch. Trotzdem wird die Nachsuche auf Schalenwild oft sehr viel höher angesehen – vor allem bei Trophäenträgern. Ein merkwürdiges Messen des Tierschutzes mit zweierlei Maß.
 
Nun ist es beileibe nicht so, dass Spitzenhunde für die Nachsuche aus­schließlich aus den Leistungszuchten des VH und KBGS, mit pro Jahr etwa nur 70 VHJ- und 80 KBGS-Welpen, hervorgebracht werden. Die Wahr­scheinlichkeit dafür ist aber unvergleichlich höher als bei Rassen, die über einhundert Jahre lang für ganz andere Aufgabengebiete gezüchtet wurden, wie bspw. die hochläufigen Vorstehhunde. Die Welpenzahlen der offiziellen Vereine sind begrenzt, hinzu kommen rund 50 bis 60 Welpen des Schweißhundvereins Deutschland. Beim Deutschen Schweißhundverband sind ebenfalls sechs Zwinger für BGS und fünf Zwinger für HS gelistet. Unkontrolliert gezüchtet werden Schweißhunde aus den sogenannten Schwarzzuchten, deren Hunde zum Teil über Generationen aus reinen Schönheits­zuchten stammen. Hierbei spielten ausschlaggebende Eigenschaften wie Fährtenwille, Eigenkorrektur und Wildschärfe keine Rolle. Diese Hunde sind anhand der Ahnentafel leicht zu erkennen. Begriffe, wie „Weltsieger“, „Deut­scher Champion“,  „Bundessieger“, und Kürzel wie CAC oder CABIB kommen in echten Leistungszuchten nicht vor. Eine sogenannte Schwarzzucht zu erkennen, ist für Käufer oft nicht einfach. Über die Welpenzahlen der nicht in Vereinen organisierten Züchter, die ihre Vierläufer in Kleinanzeigen anbieten, kann nur spekuliert werden. Selbstverständlich kommen auch aus solchen Zuchten Hunde, die in den richtigen Händen ihre Leistung bringen. Verlogen ist es aber zu argumentieren, dass die Papiere keine Rolle spielen. Denn die noch vorhandenen Anlagen der schwarz gezüchteten Hunde entspringen jahrzehntelanger Leistungszucht – auch wenn sie Generationen zurückliegt.
Das primäre Ziel der privaten Züchter scheint häufig in der optimalen kommerziellen Vermarktung ihrer Vermehrungsergebnisse zu liegen. Bei den größten Massenzüchtern werden offiziell bis zu acht Hündinnen jährlich belegt, wahrscheinlich sogar mehr. Da geht es schon mal zu wie auf einem tür­kischen Basar, und der Welpenpreis steigt mit der Anzahl der Interessenten. So bezahlt der Kunde schnell das Anderthalbfache des Richtpreises von VH oder KBGS. Entsprechend beschränken sich die Auswahlkriterien bei der Welpenvergabe dann auch im Wesentlichen auf die Zahlungsfähigkeit des Kunden, nicht auf Einsatzmöglichkeiten oder fachliche Eignung.
 
Die Folgen sind verheerend. Unerfahrene Führer mit unerfahrenen Hunden stürzen sich auf jeden erreichbaren Anschuss. „Mein Hund hat bis jetzt alles gefunden!“ ist meiner Erfahrung nach eine klare Aussage darüber, dass der Hund so gut wie keine Nachsuchenpraxis hat. Totsuchen mit durchgängiger Bestätigung durch Schweiß sind im Normalfall Bergehilfen, keine wirklichen Nachsuchen. Trotzdem sind diese Arbeiten wichtig für Nachwuchshunde ernsthafter Schweißhundführer. Der Vierläufer braucht sie, um später Lauf-, Krell oder Gebrechschüsse zuverlässig arbeiten zu können – Schussverletzungen, die ausschließlich eine Aufgabe für erfahrene Gespanne sind. Stellt sich die Frage, ab wann dieses als erfahren zu werten ist. Der durchschnittliche Hund braucht hierfür mindestens 200 Einsätze, sein Führer dagegen nach vorsichtigen Schätzungen um die 500. Die Zahl 1000 kommt der Wahrheit sicher näher. Wie weit und welche Wege geht ein krankes Stück in Abhängigkeit von Wildart, Altersklasse, Trefferlage, Uhrzeit, örtlichen Gegebenheiten, Umständen vor und bei der Schussabgabe? Wann muss ich die Arbeit unterbrechen und Vorstehschützen organisieren? Wo stehen diese am besten? All das lernt man ausschließlich in der Praxis.
 
Wie sieht die Zukunft aus? Die Nachfrage nach Schweißhunden scheint ungebrochen und der Markt noch lange nicht gesättigt. Auf flächendeckende Einsicht in der Jägerschaft zu hoffen, wäre naiv. Die zuständigen Mitarbeiter der Landesjagdverbände und Verwaltungen haben häufig kein ausreichendes Fachwissen, Interesse oder keine Handhabe, um gegen die Schweißhundeflut vorzugehen. In einigen Jahren werden nur noch in großen Forstverwaltungen, Hegegemeinschaften und wenigen abgelegenen Landstrichen Schweißhundführer stehen, die über hundert Nachsuchen absolvieren und damit ihre Hunde zu den erforderlichen Spitzenleistungen bringen können. Für viele hochkarätige Schweißhundführer stellt sich daher die Frage, wie es künftig weitergeht im deutschen Nachsuchenwesen…
 
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